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Verrückt vor Schönheit – Das Stendhal-Syndrom

„Ich habe mich in eine Statue verliebt“

So lautet der Titel einer von Graziella Magherinis zahlreichen Publikationen. Dabei bezieht sie sich auf die in vielen Augen schönste Statue der Welt, den David von Michelangelo. Die damalige Leiterin der psychosomatischen Abteilung des Krankenhauses Santa Maria Nuova von Florenz beschrieb in einer 1989 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie das sogenannte Florenz- oder Stendhal-Syndrom. Es handelt sich um eine psychosomatische Störung, die im Zusammenhang mit kultureller Reizüberflutung auftritt. Im Jahr 1817 dokumentierte Marie-Henri Beyle, eben dieser Stendhal, das Phänomen wohl zum ersten Mal. Nach seinem ersten Besuch von Santa Croce, einer der prächtigsten Kirchen in Florenz, beschrieb er sein Befinden wie folgt:

„Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und durch die Nähe der großen Männer, deren Gräber ich eben gesehen hatte, in einer Art Ekstase.  […] Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; in Berlin nennt man das einen Nervenanfall; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“ (Stendhal, Reise in Italien)

Das Stendhal-Syndrom und ein Erklärungsversuch

Angesichts der hohen Kunstdichte in vielen italienischen und auch anderen europäischen Städten beobachtete man vor allem bei ausländischen Touristen, insbesondere bei westeuropäischen und nordamerikanischen Bildungsreisenden, Erschöpfungszustände, Panikattacken und Wahnvorstellungen. „Italiener gehören nie zu den Betroffenen; sie sind Erhabenheit gewohnt. Japaner auch nicht: Ihre Sightseeing-Touren verlaufen so wohlorganisiert, dass kaum Zeit für emotionale Attacken bleibt.“ (Zitat Stefan Maiwald, siehe hier) Schlichte Kreislaufprobleme bedingt durch hohe Temperaturen, wenig Flüssigkeit und der Blick in teils schwindelerregende Höhen mögen dem eher pragmatischen Gemüt als Erklärung genügen.  

Sehnsucht nach Ästhetik

Laut Magherini ist der Kern jedoch ein anderer: Angesichts eines Kunstwerks oder einer Statue werden Teile unseres Unterbewusstseins aktiviert. Längst Vergessenes tritt zu Tage. Das Aufeinandertreffen mit dem lang Ersehnten und die Fülle an Ästhetik lassen unsere Sinne schwinden. Gegenmaßnahmen: Ruhe, der Kontakt zu den eigenen Landsleuten und die schnelle Rückkehr nach Hause. In Mannheim wurde dieses Phänomen vermutlich noch nie beobachtet…


Eine nette Abwechslung zu den prachtvollen Schönheiten sind die Weinlöcher von Florenz: Sie machen nicht verrückt, höchstens ein bisschen schwindelig, wenn man sich zu oft an ihnen bedient 😉