Weinfenster

Die Weinlöcher von Florenz

Keine Frage, Italien fasziniert und fesselt uns. Es strotzt nur so vor kulturellem und kulinarischem Reichtum. Ein unverbrüchliches Stil- und Modebewusstsein scheint der Italiener fest in seiner DNA verankert zu haben. Ja, Italien vermag uns in seiner Pracht und Größe zu erschlagen, das erklärte bereits Stendhal.

Einfach schlendern

Doch wie wäre es, sich einfach einmal unbeeindruckt zu zeigen? Die großen Sehenswürdigkeiten mit ihren endlosen Warteschlangen links liegen zu lassen? Einfach nur zu schlendern? Sich treiben zu lassen und dabei die ein oder andere Besonderheit zu entdecken, die womöglich noch nicht jeder kennt? Oder die sich andernorts vielleicht überhaupt nicht findet? In einer von den Historikern bis ins kleinste Detail dokumentierten Stadt wie Florenz erscheint das schier unmöglich…

Ein Kulturgut mit besonderem Charme

Doch ich durfte mich eines Besseren belehren lassen. Genau wie ich hatte sie so manch alteingesessener Florentiner noch nie zuvor bemerkt. Einmal entdeckt jedoch ziehen sie sich wie ein roter Faden durch die Wiege der Renaissance. Schnell vergisst man Michelangelo, Brunelleschi und den gesamten Clan der Medici. Diese geheimnisvollen Öffnungen haben nämlich ihren ganz eigenen Charme. Bei den sogenannten buchette del vino (kleine Weinlöcher) handelt es sich um Maueröffnungen an den Fassaden der Häuser und Palazzi. Zum Teil sind sie heute noch mit Holztürchen verschlossen. Sehr viele sind zugemauert oder mit mehr oder weniger schönen Malereien versehen. Andere wiederum wurden zu weiteren, teils äußerst kreativen Zwecken umfunktioniert.

Das Weinloch in der Via del Giglio ist kunstvoll gemauert und trägt die Inschrift Vendita di Vino. Er verfügt über ein dunkelbraunes Holztürchen und sitzt direkt unter einem Fenstersims.
Eines der schönsten Exemplare in der Via del Giglio

Direktverkauf durch Weinfenster

Ihr ursprünglicher Zweck war übrigens ein angenehm nahe liegender: Die in Florenz lebenden Weinproduzenten verkauften durch diese Türchen ihren Wein. Dieser wurde im toskanischen Umland angebaut und auf diese Weise direkt vom Produzenten an den Konsumenten verkauft. Es gab Öffnungszeiten, zu denen man an das Fensterchen klopfte und beim Kellermeister die gewünschte Menge und Qualität Wein bestellte.

Die typische Flaschenform des fiasco

Die Öffnungen verfügten über Höhe und Breite, durch die ein fiasco passte. Als fiaschi werden bis heute die typischen, mit Stroh ummantelten, dickbauchigen Flaschen bezeichnet. Ihre Füllmenge musste ein mezzo quarto (halbes Viertel) betragen, was damals 2,28 Litern entsprach. Deren Einhaltung wurde durch die Anbringung eines Bleisiegels am Stroh kontrolliert. Diese für Steuerbetrug recht anfällige Kontrollmethode wurde im Laufe der Zeit mehrmals überarbeitet, bis die Form des uns heute bekannten fiasco entstand. Dessen Flaschenhals und ein Teil des Bauches liegen frei. Seit 1965 darf ein fiasco nur noch Chianti mit Ursprungsnachweis beinhalten.

Dem Alltag entfliehen

Na, wer sieht sich nach diesen Zeilen in Gedanken schon mit einem Glas Wein oder gar einem fiasco durch Florenz lustwandeln? Man nehme einfach spontan ein paar Tage frei und genieße das süße Leben!* Denn es gibt gute Nachrichten: Ein paar der inzwischen knapp 200 entdeckten Weinlöcher wurden bereits zu neuem Leben erweckt. Sie verwöhnen den (wissens-) durstigen Besucher gerne mit einem Gläschen vermiglio (Rotwein) oder anderen Leckereien.
*Sofern es die Situation im Rahmen der Corona-Pandemie zulässt.

Die Kulturvereinigung Associazione Buchette del Vino

Und das vor allem Dank der Associazione Buchette del Vino. Der gemeinnützige Verein wurde 2015 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Weinlöcher zu katalogisieren. Mit Zustimmung ihrer heutigen Eigentümer werden sie mit einer Plakette versehen. Die Jagd auf die Weinlöcher ist also längst in vollem Gange. Inzwischen hat man sogar außerhalb von Florenz bereits zahlreiche dieser Schätzchen entdeckt. Neben dem bereits bestehenden Angebot an themenbezogenen Führungen treibt die Kulturvereinigung aktiv und mit großer Leidenschaft zahlreiche neue Ideen voran. Alle, die wie ich die Weinlöcher von Florenz so sehr ins Herz geschlossen haben, dürfen sich in den kommenden Monaten auf spannende neue Projekte freuen.


Mehr zu den Weinlöchern von Florenz gibt es hier auf Italiensehnsucht in der Kategorie Weinfenster. Weitere Informationen (auch in englischer Sprache), Fotos und Übersichten findet Ihr unter https://buchettedelvino.org/ und auf Facebook unter https://www.facebook.com/buchettedelvino/.