Daniel Speck

Daniel Speck – Bella Germania

Als ich Daniel Speck an einem zapfig kalten Winternachmittag in seiner Heimatstadt München treffe, weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau, wo ich mit meinen vielen Fragen überhaupt anfangen soll. Schon als ich das Päckchen vom Fischer Verlag ein paar Tage zuvor zu Hause öffnete und dieses dicke Bündel Buch im gelungenen Retrodesign in der Hand hielt, ahnte ich leise, dass dieser Roman meine Italiensehnsucht für eine Weile stillen könnte. Wie sehr mich Daniel Specks Debütroman berührt, das wusste ich spätestens nach den ersten paar Seiten.

Daniel Speck. Bildrechte: Giò Martorana

Aus meinen vielen Fragen wurde ein lebhaftes, informatives und konstruktives Gespräch mit einem Menschen, der meine tiefe Verbundenheit zum Land Italien und seinen Menschen teilt und dessen Weg, konsequent das zu verfolgen wohinter man steht und was man liebt, mich in meinem eigenen Tun bekräftigt.

„Bella Germania“ erzählt eine italienische Familiengeschichte von den Fünfziger Jahren bis heute, vom Suchen und Finden der eigenen Wurzeln und von der Liebe: der Liebe zu seinem Beruf, zur eigenen Heimat, der Liebe zwischen zwei Menschen und vor allem zur Familie.

Gleichzeitig ist „Bella Germania“ ein exzellent recherchiertes Stück Zeitgeschichte, das die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien auch in einem weltgeschichtlichen Kontext erscheinen lässt, ohne jemals an Leichtigkeit und Spannung zu verlieren. Seine evokativen Beschreibungen der landschaftlichen Gegebenheiten und kulinarischen Köstlichkeiten verraten, dass Daniel Speck nicht nur einmal auf Salina in Sizilien war: dort, wo die Geschichte seinen Anfang nahm …

Die junge Münchner Modedesignerin Julia arbeitet unermüdlich an ihrem Traum vom eigenen Label, bis völlig unerwartet ein Mann in ihr Leben tritt, der behauptet, ihr Großvater zu sein. Daraufhin macht sie sich auf die Suche nach ihrer Familie und wacht aus einem Traum auf, den sie bisher für ihr Leben hielt.

Daniel Specks Debutroman Bella Germania. Bildrechte: Giò Martorana

Unser Leben gehört uns nicht allein. Dieses Haus, das wir unser Ich nennen, ist bewohnt von denen, die vor uns kamen. Ihre Spuren sind in unsere Seelen eingraviert. Erst ihre Geschichten machen uns zu dem, was wir sind.

Daniel, in „Bella Germania“ nimmst Du uns mit auf eine 60-jährige Zeitreise durch Italien und Deutschland. Eines der zentralen Themen Deiner Geschichte ist die Familie. Du sprichst von einem unsichtbaren Band, einem Flüstern zwischen den Generationen. Was genau verbirgt sich für Dich dahinter?

Wir sind einerseits Individuen und andererseits Teile eines größeren Ganzen. Unsere Eltern und Großeltern leben in uns weiter, und das nicht nur durch genetische Faktoren, sondern auch im Unbewussten. Da gibt es unausgesprochene Aufträge der Eltern an die Kinder, da gibt es Traumata, die in die nächste Generation weiter wirken, und von diesen unsichtbaren Verbindungen erzählt „Bella Germania“.

Wenn Du dir das Beste aus beiden Familienkulturen, der italienischen und der deutschen, herauspicken dürftest – was wäre das? Und auf was würdest Du lieber verzichten?

In Deutschland steht mehr das Individuum im Vordergrund, in Italien mehr die Familie – vor allem in Süditalien. Beides hat Vor- und Nachteile, und jedes Melodram lebt von Figuren im Spannungsfeld zwischen ihren individuellen Leidenschaften und ihren familiären Pflichten, zwischen Freiheit und Geborgenheit. Ich hätte natürlich, wie jeder, am liebsten beides, aber das ist immer eine komplizierte Balance. Zu viel Freiheit macht einsam, zu viel Nähe kann einschränken. Man muss das immer wieder neu austarieren, mit sich selbst und den Menschen, die man liebt.

„Giulietta wäre stolz gewesen auf Ihren Erfolg“, sagte er. „Sie leben Ihren Traum.“ Ich verstand nicht, was er meinte. „Sie hat auch geschneidert. Sie hatte großes Talent. Aber nicht Ihre Möglichkeiten. Ich denke, Ihr Vater hat Ihnen den Namen in Andenken an seine Mutter gegeben. Er hat sie über alles geliebt.“

Als Julia zum ersten Mal ein Foto ihrer Großmutter Giulietta sieht, erkennt sie keine Fremde, sondern „ein Echo ihrer Seele aus einer vergangenen Welt“. Die beiden Frauen gleichen sich sowohl äußerlich als auch in Bezug auf Ihre Talente und Träume. Dennoch führen Sie zwei völlig unterschiedliche Leben.

Ja und nein. Während Julia alles für ihre berufliche Leidenschaft gibt, opfert Giulietta sich für die Familie auf. Sie sind unterschiedlich, aber zwei Seiten der gleichen Medaille. Der einen fehlt, was die andere hat: Julia hat mit Mitte 30 Erfolg, aber noch keine Kinder, Giulietta ist eine leidenschaftliche Mutter, aber schafft nie den Durchbruch als Modedesignerin. Und durch die Geschichte ihrer Großmutter kann Julia die Obsessionen ihres heutigen Lebens besser verstehen. Denn auch hier gab es unbewusste Muster, die die Großmutter an den Vater und der Vater an die Tochter übertragen hat.

Die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit fand in Deutschland und Italien auf sehr unterschiedliche Weise statt. Dies lernen wir durch Julias Mutter Tanja, die mit der Vergangenheit bricht und das Konzept Familie für gescheitert erklärt.

Ja, in Deutschland gab es eine radikalere Abgrenzung der 68er mit der Kriegsgeneration, den sogenannten „Nazi-Vätern“. Das hat zu viel tieferen Brüchen in den Familien geführt als in Italien, wo das Kontinuum der Generationen stärker gewahrt blieb. In Italien kann man heute noch ungestört im Mussolini-Fanshop von Predappio stöbern. In „Bella Germania“ steht die Protagonistin Julia zwischen ihrer Alt-68er Mutter Tanja und ihrer bisher unbekannten italienischen Familie. Ihre deutsche Mutter Tanja sagt, dass man seine wahre Familie in Freunden und Weggefährten findet. Ihre italienischen Verwandten sagen, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann, dass Blut dicker als Wasser ist.

„Ich kann das nicht.“ Es war nicht einmal, weil er nicht wollte, sondern weil er es sich nicht zutraute. Große Ziele machten ihm Angst. Man konnte nur daran scheitern. Alles was er wollte, war, durch den Tag zu kommen. Das geringstmögliche Maß an Verantwortung.

Ein enges Verhältnis zur Familie und das daraus resultierende Verantwortungsbewusstsein kann zur Bürde werden. In unserem Gespräch erwähntest Du die unbewussten Aufträge der Eltern. Kannst Du uns das anhand der Lebensgeschichte Deines Hauptdarstellers Vincenzo etwas näher erläutern?

Vincenzo ist ein Kind, das man heute als „hochbegabt“ bezeichnen würde. Seine Mutter, die ihre eigene Leidenschaft in Beruf und Liebe immer wieder unterdrücken muss, sagt ihm: „Mach was aus deinem Talent! Lass dich von niemandem aufhalten, nicht einmal von deiner eigenen Mutter!“ Dieses Talent wird ihm zur Bürde, weil er an den hohen Erwartungen nur scheitern kann. „Talent ist auch ein Fluch“, sagt er, der Rennfahrer werden möchte, „manche sterben daran.“ Erst als er alles verliert und seinen Ehrgeiz aufgibt, hat er Erfolg.

Vincenzo wusste nicht, was er auf Salina machen sollte, aber da er auch sonst nirgendswohin gehörte, war es im Grunde ja gleich, wo er lebte. Nur eines wurde ihm jetzt klar: Er musste Wurzeln schlagen, um nicht verlorenzugehen. Um jemand zu sein.

Einwanderergeschichten wie die in „Bella Germania“ sind Geschichten voller Hoffnungen und Sehnsüchte. Heimat, Ankommen, Wurzeln schlagen: allesamt Begriffe, die sich durch Deinen Roman ziehen und die die Zerrissenheit der italienischen Einwanderer beschreiben. Gibst es Deiner Meinung nach Parallelen zwischen der damaligen Gastarbeiterbewegung und der heutigen Flüchtlingssituation?

Heute sind so viele Menschen außerhalb ihrer Heimat unterwegs wie nie zuvor. Deshalb lohnt es sich, einen Blick zurück zu werfen: Wie wurde Deutschland zum attraktiven Einwanderungsland? Was können wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen?
Damals wie heute gehen Menschen dorthin, wo sie ihr Potenzial besser entfalten oder einfach nur überleben können. Und damals wie heute stoßen sie in der Fremde auf Ablehnung und Vorurteile, aber auch auf Neugier und Menschlichkeit.
Was ich bei der Recherche interessant fand, ist, dass viele Klischees über Zuwanderer heute ähnlich klingen wie damals, als die Italiener kamen: Damals hieß es „fremdländische Sitten und Gebräuche“, heute wird viel über die Religion geredet, ohne dass es wirklich um religiöse Themen geht. Beispielsweise gab es damals (wie auch leider heute noch) im katholisch geprägten Süditalien sogenannte Ehrenmorde – eine archaische, patriarchale „Tradition“, die im Islam wie im Christentum verboten ist.
Viele Italiener schilderten mir, wie sie in den 70ern als „Spaghettifresser“ und „Mafiosi“ keine Wohnungen bekamen, in den Schulklassen ausgegrenzt wurden und verdächtigt wurden, die deutschen Mädels verführen zu wollen. Heute rühmt sich München damit, die „nördlichste Stadt Italiens“ zu sein, alle sitzen draußen, essen Pizza und trinken Cappuccino. Über das Essen wurden viele „fremdländische Sitten und Gebräuche“ in den deutschen Alltag übernommen.

Abschließend würde ich gerne von Dir wissen, wie präsent die Romanfamilie „Marconi-Becker“ in Deinem eigenen Leben gerade ist und ob Du uns schon von weiteren Projekten erzählen kannst.

Meine Romanfiguren leben in meinem Kopf wie Menschen, die wirklich existieren, wie Freunde und Familienmitglieder. Ich kenne ihre Gefühle, Gedanken und Geheimnisse. Es braucht einige Zeit, bis sie dieses Eigenleben gewinnen, Monate, manchmal Jahre. Dann aber brauche ich ihre Geschichten nicht mehr zu „bauen“, ich muss ihnen nur noch zuhören und folgen. Und gerade entstehen in meinem Kopf neue Charaktere. Der nächste Roman wird wieder eine Familiengeschichte in mehreren Generationen… ein ähnliches Genre, aber inhaltlich ganz anders!

Wir sind gespannt auf die Verfilmung von Bella Germania, auf Deinen neuen Roman und auf die vielen spannenden interkulturellen Projekte, die da hoffentlich noch folgen.

Grazie Daniel, è stato un piacere!

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