Mit Thomas verbindet mich die Leidenschaft für den Rock’n’Roll-Sport.
Aus Konkurrenz auf dem Parkett wurde vor vielen Jahren eine wunderbare Freundschaft. Heute lebt sie auf, denn auch Thomas treibt die Sehnsucht nach Italien. Eine ganz besondere sogar …
Thomas Huber über neapolitanischen Trubel und weihnachtliche Stille
Thomas, du pflegst ein seltenes Hobby, den Krippenbau. Wie kam es dazu und was fasziniert dich daran?
Für mein Alter ist es in der Tat ein seltenes Hobby. Der durchschnittliche Krippenbauer ist Rentner, wenn man die Entwicklung in den Krippenvereinen betrachtet. Ich war als Kind schon von der Krippe fasziniert, keine Krippe innerhalb der Verwandtschaft war vor mir sicher. Durch die Betreuung der Kirchenkrippe in Abensberg seit 1997 hat sich das Hobby zu einem wichtigen Bestandteil in meinem Leben entwickelt. Den Ausdruck „Berufung“ mag ich zwar nicht, er ist jedoch recht treffend für mich. Das Spannende am Krippenbau ist, dass ich es nicht als Spielerei, sondern als eine Kunstform ansehe. Die Krippe ist die Darstellung einer Geschichte in 3 D, eine Szene ist an einem bestimmten Moment festgehalten. Meine Definition einer Krippe ist ein „gefrorenes Theater“. Dazu gehören die Landschaft, die Gebäude, die Beleuchtung und natürlich die Figuren. Und ja, ein religiöser Hintergrund ist Voraussetzung für eine Krippendarstellung. Sonst könnte ich auch Modelleisenbahn bauen. Die Krippe ist ein Weg zur Verkündigung, zur bildlichen Darstellung des Glaubens. Zusammengefasst also im Idealfall ein „gefrorenes heiliges Theater“. Und natürlich ein künstlerischer Ausgleich zu meinem Beruf als Arzt.
Ich kann mir vorstellen, dass dich die Krippen das ganze Jahr über beschäftigen. Wie aber sieht die Vorweihnachtszeit konkret für dich aus?
In der Tat, die Krippe begleitet mich nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über. Man sieht die Welt mit anderen Augen. Aus einer romantischen Architektur, die man im Urlaub entdeckt, entwickelt sich im Kopf eine Krippenkulisse. Ein spannendes Gemälde wird Motiv und Anfangsidee für eine Inszenierung. Naturmaterialien, die man unter dem Jahr findet, werden als Ausstattungsgegenstände in der Krippenbühne verwendet. Hinzu kommt, dass ich Jahreskrippen in Füssen und Abensberg betreue. Hier werden nicht nur die Ereignisse um die Weihnachtsgeschichte dargestellt, sondern es können fast alle Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament oder Heiligenlegenden als Krippenmotiv umgesetzt werden. So zum Beispiel an Ostern eine „Auferstehung“ oder im August eine „Mariä Himmelfahrt“.
In der Vorweihnachtszeit bin ich bayernweit unterwegs und nehme an verschiedenen Krippenausstellungen teil. Dieses Jahr war es Bamberg und München, und natürlich müssen auch die Jahreskrippen in Abensberg und Füssen entsprechend umgebaut werden.
Beim Thema Krippen führt kein Weg an Italien vorbei. Besonders in Neapel scheinst du dich wie in deiner eigenen Westentasche auszukennen. Wie kam es dazu und was macht für dich den Reiz der Stadt Neapel aus?
Stark beeindruckt hat mich die große Krippenabteilung im Bayerischen Nationalmuseum in München. Schwerpunkt innerhalb des Museumskonzeptes sind die „neapolitanischen Krippen“. Ich weiß noch genau wie ich als Jugendlicher aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen bin, als ich die Vielzahl an historischen neapolitanischen Figuren zum ersten Mal sah: jede Figur ein Kunstwerk. Damals wäre eine neapolitanische Krippe unbezahlbar für mich gewesen, und daher legte ich die Idee eines eigenen presepe, wie die Krippe auf Italienische genannt wird, ab.
Ein Kardiologe aus Neapel, den ich durch dessen Hospitation am Klinikum der Universität Regensburg kennen lernte, lud eine Freundin und mich nach Neapel ein. Natürlich musste ich dort unbedingt die Via San Gregorio Armeno mit ihren unzähligen Krippengeschäften aufsuchen. Auf dem Weg dorthin habe ich viele Viertel Neapels kennen und schätzen gelernt. Die Stadt hat so viele Facetten, von Schickimicki bis zum gefährlichen Bahnhofsviertel ist alles dabei. Kern der Stadt ist natürlich das centro storico. Ich vergleiche es immer mit einem riesigen Herzen, das pulsiert und das Leben wie Blut in alle Straßen und Gässchen bis hin zum Golf von Neapel verteilt. Mein persönlicher Kern ist natürlich die Krippenstraße. Das gute Essen und die Nähe zu Capri, Ischia, Amalfi und Sorrent lässt sich urlaubstechnisch gesehen auch nicht abstreiten.
Das Land Italien ist vielschichtig. Jede Region hat ihre ganz eigenen Traditionen. Ist diese Vielfalt auch bei den Krippen zu beobachten?
Die Italiener haben die Krippe sozusagen „erfunden“. Obwohl die Legende, dass der heilige Franziskus in Greggio die Krippe erfunden habe, mittlerweile widerlegt ist, gelten die Italiener als Schöpfer der Krippen. Wie fast jede Kunstform hat sich auch die Krippe von Italien nach Europa ausgebreitet. Die Form der Krippen spiegelt sich meines Erachtens in den Verhältnissen der Bewohner wider. Ärmere Regionen haben schlichtere Krippen, reichere umso aufwändigere.
Dabei sticht die neapolitanische Krippe aus allen Krippen hervor, da es überwiegend Könige und Adelige waren, die Ende des 18. Jahrhunderts Krippen in Auftrag gaben. In Neapel gab und gibt es für jeden Bestandteil der Krippe eigene Künstler. Die einen schufen die ausdrucksstarken Köpfe aus Terrakotta, die anderen spezialisierten sich auf die Produktion von Tieren, Gebäuden oder finimenti (die kleinen Krippendetails). Es wurden sogar extra Stoffe für die Krippenfiguren gewebt, damit die Proportionen zu den Figuren passen. Typisch für die 20 bis 40 cm große neapolitanische Krippenfigur ist ein aus Terracotta modellierter Kopf mit eingesetzten Glasaugen, Hände und Füße sind aus Holz geschnitzt. Ein Drahtgestell wird mit Werg umwickelt und dann aufwändig mit fein gewebten (Seiden-) Stoffen bekleidet. Aufgrund des Drahtgerüstes können die Figuren bewegt werden. Die Krippenszenerien sind ausgefüllt mit dem italienischen Leben, jede Völkerschicht wird repräsentiert. Auf kleinste Details wird penibel geachtet, ein hoher künstlerischer Anspruch schwebt über dem Ganzen. Oft sind die Szenen so überladen, dass die Hauptgruppe der Heiligen Familie erst gesucht werden muss.
Wie würdest du den Stil deiner Krippen beschreiben und möchtest du eine konkrete Botschaft übermitteln?
Die Figuren, die ich selbst anfertige, unterscheiden sich von den neapolitanischen in ihrer Herstellung und den verwendeten Materialen: Die Figuren werden als Aktfiguren aus verschiedenen lufttrocknenden Modelliermassen mit den Fingern und Modellierwerkzeug angefertigt. Danach bereite ich verschiedene Stoffarten vor, welche mit Leim getränkt und an der Figur drapiert werden. Diese alte sizilianische Technik heißt „kaschieren“. Die möglichst realistisch gelegten Falten werden dadurch fixiert und die Figur ist nicht mehr beweglich. Am Schluss werden die fertigen Figuren mit verschiedenen Farben polychrom bemalt.
Mir war es immer wichtig, meine Szenen auf das Nötigste zu reduzieren. Speziell die Architektur und die Kulissen sind eher schlicht gehalten, um nicht unnötig aufdringlich zu wirken. Wie eine stilisierte Architektur im Theater sollen die Kulissen die Szenerie einrahmen und den Figuren, den Hauptakteuren, eine Bühne bieten. Dadurch wird der Betrachter nicht vom Geschehen abgelenkt, der Fokus geht zuerst auf das Hauptthema, danach kann der Betrachter in der Szenerie umherschweifen und die versteckten Details erkennen. Meine Botschaft ist, sich auf das Wesentliche zu besinnen, zum Kern der Aussage zu kommen. In diesem Jahr ist mir das besonders wichtig: Aufgrund der kurzen Adventszeit sind doch fast alle mehr gestresst von Weihnachten, als dass die Vorfreude wirklich genossen werden kann. Meine Krippen laden ein zum Ausruhen, zur stillen Ruhe.
Wo können wir deine Krippen dieses Jahr bewundern?
Gerade erst bin ich von München heimgekommen. Dort habe ich für das 100. Jahresjubiläum des Münchner Krippenvereins mehrere Krippen konzipiert und aufgestellt. München war mir als Ausstellungsort sehr wichtig, da ich dort meine frühen prägenden Krippeneindrücke gesammelt habe. In der Stadtpfarrkirche Abensberg steht aktuell eine bildliche Umsetzung des Weihnachtsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“. In der Jahreskrippe in Füssen ist eine Verkündigung aufgestellt und in Bamberg eine Herbergssuche.
Zum Schluss wollen wir natürlich wissen, ob du eine eigene Krippe hast und wenn ja, wie diese aussieht!
Man glaubt es kaum, aber ich hatte in meiner Regensburger Wohnung bisher noch nie eine eigene größere Krippe aufgebaut. Meistens hatte ich alle meine Figuren irgendwo ausgeliehen. Umso mehr freue ich mich, dass es dieses Jahr zum ersten Mal mit einer eigenen neapolitanischen Krippe geklappt hat.
Wichtig ist mir hierbei, die neapolitanische und meine eigene Krippenvorstellung zu vereinen. Die hochwertigen Figuren aus Neapel werden umrahmt von einer schlichten Felskonstruktion und einer magischen Beleuchtung. Es hört sich vielleicht seltsam an, aber immer bevor ich zu Bett gehe, setze ich mich vor die Krippe und lasse sie auf mich wirken.
Da sie noch nicht komplett ist, werde ich noch im Dezember nach Neapel fliegen, um neue Figuren zu holen. Ich habe in Neapel ein paar Krippenkünstler kennen gelernt, mit denen ich zusammenarbeite. Dabei ist mir wichtig, dass es keine Massenproduktionen sind, wie es häufig des Fall ist. Nach meinen Angaben werden die Figuren vom entsprechenden Künstler angefertigt, und ich kann sie dann vor Ort begutachten und hoffentlich unbeschadet nach Regensburg bringen.
Aber vor allem will ich die Reisen nach Neapel nutzen, um der Hektik zu Hause zu entfliehen. In Neapel lasse ich mich auf den italienischen Advent ein, mit den vielen Lichterketten, den dolci, dem Trubel in der Krippenstraße und den vielen Krippenausstellungen in Neapel und Sorrent.
Buon viaggio, Thomas & Buon Natale!